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Ziviler Ungehorsam: Ziviler Ungehorsam ist eine gewaltfreie Form des Protests, bei der Einzelpersonen absichtlich und öffentlich gegen Gesetze oder Befehle verstoßen, die sie als ungerecht empfinden, oft als Mittel, um auf eine Sache aufmerksam zu machen oder sich für Veränderungen einzusetzen.

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Anmerkung: Die obigen Begriffscharakterisierungen verstehen sich weder als Definitionen noch als erschöpfende Problemdarstellungen. Sie sollen lediglich den Zugang zu den unten angefügten Quellen erleichtern. - Lexikon der Argumente.

 
Autor Begriff Zusammenfassung/Zitate Quellen

John Rawls über Ziviler Ungehorsam – Lexikon der Argumente

I 363
Ziviler Ungehorsam/Rawls: Eine Theorie des zivilen Ungehorsams stellen wir nur auf für den Spezialfall einer annähernd gerechten Gesellschaft, in der dennoch einige gravierende Ungerechtigkeiten auftreten. Da ich annehme, dass ein annähernd gerechter Staat demokratisch verfasst ist, betrifft die Theorie den Ungehorsam gegenüber legitim etablierten demokratischen Strukturen. Es geht hier nicht um militante Agitationsformen oder die Überwindung von korrupten Regimen.
In dem oben skizzierten Fall ist gewaltfreie Opposition sicher gerechtfertigt. Ein Problem entsteht, wenn Pflichten in Widerspruch zueinander geraten. Dabei werden die Natur und die Grenzen der Mehrheitsregel berührt. Daher ist das Problem ein entscheidender Test für alle moralischen Demokratietheorien. Eine verfassungstheoretische Theorie zivilen Ungehorsams hat drei Teile:
1. Die Art der Meinungsverschiedenheit wird definiert und von anderen Formen der Opposition wie Demonstrationen oder Eingaben vor Gericht unterschieden.
2. Gründe und Bedingungen für gerechtfertigten zivilen Ungehorsam sind zu spezifizieren.
3. Die Rolle des zivilen Ungehorsams in einem Verfassungssystem ist zu bestimmen.
I 364
Ad 1.: Def Ziviler Ungehorsam/Rawls: Ziviler Ungehorsam ist ein öffentlicher, gewaltfreier, bewusster politischer Akt gegen das Gesetz mit dem Ziel, einen Wandel im Gesetz oder der Politik der Regierung herbeizuführen(1). Bei diesem Ungehorsam wird nicht unbedingt dasselbe Gesetz gebrochen, wie das, gegen das protestiert wird.
I 365
Ziviler Ungehorsam ist ein politischer Akt, indem er durch politische Prinzipien geleitet wird.
I 366
Gewaltfreiheit: Ziviler Ungehorsam ist gewaltlos, weil er innerhalb der Grenzen des Rechtsgehorsams Widerstand gegen einzelne Gesetze zum Ausdruck bringt.
I 372
Ad 2.: Gründe für zivilen Ungehorsam können offensichtliche Verletzungen der beiden Prinzipien der Gerechtigkeit sein, diese sind aber nur selten konkret zu benennen, z.B. wenn Minderheiten benachteiligt werden. Noch schwieriger sind Verletzungen des Differenzprinzips festzustellen, weil es primär auf ökonomische und soziale Institutionen angewendet wird.
>Differenzprinzip/Rawls
.
Dabei müssen auch statistische Beobachtungen einbezogen werden. Beispiele wären ungerechte Steuergesetze; wenn ein Protest sich allerdings nur auf öffentliche Wahrnehmung stützt, gibt es ein Problem, ob diese Wahrnehmung klar genug ist.
I 373
Ein klarerer Fall ist die Verletzung des Prinzips gleicher Freiheiten. Sollten frühere Appelle an die Mehrheit sich als fruchtlos erwiesen haben, ist das eine weitere Rechtfertigung für zivilen Ungehorsam. Eine bisher unterdrückte religiöse Minderheit wird kaum Erfolg haben, wenn sie allein auf normale politische Prozeduren vertraut.
I 375
Sollten verschiedene Gruppen benachteiligt sein, ist es gut, wenn die Unterschiede zwischen ihnen vernachlässigt werden können.
I 376
Sollen alle Bedingungen für einen zivilen Ungehorsam erfüllt sein, ist es immer noch geboten sich zu fragen, ob es klug ist zu handeln.
I 382
Ad 3.: Welche Rolle spielt ziviler Ungehorsam innerhalb eines Verfassungssystems im Zusammenhang mit demokratischer Politik, das annähernd als gerecht zu bezeichnen ist?
Antwort: Es geht darum, an den Gerechtigkeitssinn der Mehrheit zu appellieren und ein klares Zeugnis einer Verletzung der freien Kooperation aufzuzeigen.
>Kooperation, >Mehrheiten.
I 383
Die Kraft dieses Appells hängt von der demokratischen Konzeption der Gesellschaft als Kooperationssystem ab. Wenn die Protestierenden allerdings an eine andere Form der Gesellschaft denken, wäre diese Form des Protests wahrscheinlich fehl am Platz.

1. Hier folge ich der Definition von H. A. Bedau, „On Civil Disobedience“, Journal of Philosophy, Bd. 58 (1961), S. 653-661. Ähnlich: Martin Luther King „Letter from Birmingham City Jail“, (1963), nachgedruckt in H.A. Bedau, Hrsg. Civil Disobedience (New York, 1969), S. 72-89.

>Rechte, >Recht, >Nutzen, >Demokratie, >Deliberative Demokratie, >Gemeinschaft,
>Gesellschaft, >Verfassung,
>Gehorsam, >Verpflichtung, >Freiheit, >Zwang.

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Zeichenerklärung: Römische Ziffern geben die Quelle an, arabische Ziffern die Seitenzahl. Die entsprechenden Titel sind rechts unter Metadaten angegeben. ((s)…): Kommentar des Einsenders. Übersetzungen: Lexikon der Argumente
Der Hinweis [Begriff/Autor], [Autor1]Vs[Autor2] bzw. [Autor]Vs[Begriff] bzw. "Problem:"/"Lösung", "alt:"/"neu:" und "These:" ist eine Hinzufügung des Lexikons der Argumente.

Rawl I
J. Rawls
A Theory of Justice: Original Edition Oxford 2005

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